Berlin - Alle Lebensvorgänge, die im Menschen oder anderen Organismen ablaufen, werden durch die jeweiligen Erbinformationen gesteuert und kontrolliert. In jeder Zelle des Körpers werden Teile dieses Programms - bestimmte Gene - abgelesen und in Eiweißstoffe übersetzt. Diese Proteine können ihrerseits wieder die Aktivierung anderer Gene steuern. Ausgehend von der befruchteten Eizelle, läuft so ein unvorstellbar komplexes Programm ab, das schließlich zur Bildung eines erwachsenen Organismus führt.
Lebewesen sind zwar nicht ausschließlich das Produkt ihrer Gene. Aber das Ausmaß des Einflusses lässt sich beispielsweise an so genannten Inzuchtmäusen zeigen. Diese haben auf Grund ihrer identischen Erbanlagen auch viele identische Eigenschaften. Ein besseres Verständnis der dabei ablaufenden Prozesse hat neben dem wissenschaftlichen Interesse auch eine enorme praktische Bedeutung.
So wird eine große Zahl neuer Möglichkeiten eröffnet, um Krankheiten - also Störungen dieser Vorgänge - besser verstehen und behandeln zu können. Ziel ist es, die Lebensqualität vieler Menschen zu verbessern, denen heute nur unzureichend geholfen werden kann. Dabei können auch Milliarden in der Krankenversorgung eingespart werden. Außerdem ist es möglich, neue Industrien aufzubauen, unsere Nahrungsmittelversorgung zu verbessern oder Umwelt- und Energieprobleme zu lösen.
Die Biologie ist im Moment am Beginn einer Revolution. Bahnbrechende technische Fortschritte in den letzten Jahren ermöglichen ein grundlegendes Verständnis der im Genom (Gesamtheit der Gene eines Individuums, die Red.) enthaltenen Informationen. Bisher konnten wir nur kleine Ausschnitte der komplexen Netzwerke, die unser Leben und unsere Gesundheit bestimmen, untersuchen. Jetzt haben wir durch die vollständige Analyse der menschlichen Erbinformation erstmals die Möglichkeiten, alle Gene - und damit alle Komponenten der biologischen Prozesse - parallel analysieren zu können.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung lassen sich am ehesten mit denen der Mikroelektronikrevolution vor 30 Jahren vergleichen. Leider geht die Analogie noch einen Schritt weiter: Ebenso wie in der Mikroelektronik, die zur Entstehung einiger der größten und umsatzstärksten Firmen der Welt geführt hat, ist Deutschland wieder einmal im Begriff, die Entwicklung zu verschlafen. Es reagiert zu spät, zu langsam und mit viel zu geringen Mitteln auf die Herausforderung. Durch ausbleibende Entscheidungen und die Subvention sterbender Industrien - anstelle von Investitionen in die Technologien von Morgen - wird so die Chance verspielt, ein wichtiges Standbein der Zukunft dieses Landes zu etablieren.
Ein Arbeitsplatz in einem der Spitzenlabors der Genomforschung kostet mit 110 000 Mark im Jahr ungefähr soviel wie ein Arbeitsplatz im Steinkohlenbergbau. Im Unterschied zum Bergbau werden jedoch durch die Genomforschung hunderte neue Arbeitsplätze in neu gegründeten Firmen geschaffen. Und diese Unternehmen könnten zumindest potentiell die "Microsofts" und "Intels" der Zukunft werden.
Die jährliche Förderung der Genomanalyse in Deutschland ist ein Bruchteil der Aufwendungen vieler anderer europäischer Nationen, Japans und vor allem der USA. Sie entspricht ungefähr einem Fünfzigstel des Umsatzes, der jährlich mit dem Produkt eines einzelnen Gens, dem Erythropoietin (Wirkstoff zur Ankurbelung der Synthese roter Blutkörperchen, die Red.), erzielt wird. Alleine für die Finanzierung der bemannten Raumstation gibt Deutschland pro Jahr ungefähr eine Milliarde Mark aus - also das Fünfundzwanzigfache des Betrages, der für die Erforschung der menschlichen Gene zur Verfügung steht.
Herr der Gene
Professor Hans Lehrach ist Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und Mitglied des Rats der internationalen Human Genome Organization (Hugo). Der internationale Zusammenschluss wird wahrscheinlich bis 2001 die vollständige Sequenz (Abfolge der Einzelbausteine) der menschlichen Erbanlagen ermitteln. Daneben gehört Lehrach zu den drei Sprechern des deutschen Genomprojekts und leitet in diesem Bereich das Ressourcenzentrum.
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